Markus Bönig

Zwischen der Geburt und dem Tod hat jeder Mensch Zeit. Davor und danach nicht, wobei man mehr und mehr den Eindruck gewinnen muß, daß auch dies immer weniger gilt. Sie kennen die weitverbreitetste Lüge? "Ich habe keine Zeit", lautet sie. Diesem Phänomen, vermeintlich keine Zeit zu haben, was ja nicht stimmt, will ich nun in nachfolgendem Beitrag ein wenig auf den Grund gehen. Wir haben nämlich nicht zu wenig Zeit, sondern nur zu wenig Zeitgefühl.

In welchem Alter beginnen die meisten Menschen intensiver über die Zeit nachzudenken, sich mit dem Phänomen "Zeit" zu beschäftigen? Nun, das ist in etwa die Lebensmitte - eine normale Lebenserwartung vorausgesetzt - zwischen 40 und 45 Jahren. Dies ist der Zeitpunkt, wo wir glauben, erstmals abschätzen zu können, welcher Zeitraum zum Leben noch vor uns liegt.

Überlegen Sie einmal, was so die ersten Dinge waren, an die Sie sich erinnern können. Wenn Sie jetzt um die 30 Jahre sind, dann liegt noch doppelt soviel Zeit vor wie hinter Ihnen, wenn Sie zwischen 40 und 45 Jahre sind, dann liegt noch genau soviel Zeit vor wie hinter Ihnen und wenn Sie so um die 55 Jahre sind, dann haben Sie schon 2/3 Ihrer Zeit verbraucht. Nur: Das ist eine Milchmädchenrechnung. Rein objektiv und zahlenmäßig stimmt sie schon, nur gibt es einen Unterschied zwischen der objektiven Zeit und dem subjektiven Zeiterleben. Es gibt Zeiträume, die gefühlsmäßig schnell vergehen und es gibt Zeiträume, da empfinden Sie, daß sie langsam vergehen.

Wie erleben wir unsere Zeit?

Zeitmaß und Zeiterleben sind ganz verschiedene Dinge. Fragen Sie einmal einen 6- oder 8-jährigen am Abend, was er so alles erlebt hat. Sie hören dann einen ganzen Roman. Und dann stellen Sie die gleiche Frage einem 60-jährigen und Sie werden nur einen Bruchteil zu hören bekommen. Der 6- oder 8-jährige hat nämlich an diesem Tag - im Vergleich zum 60-jährigen - ein Vielfaches an neuen Erfahrungen und Eindrücken erhalten. Für den ist fast schon alles Routine und bekannt.

Jeder Mensch sammelt im Laufe seines Lebens einen Bestand X an Eindrücken, Erfahrungen und Erinnerungen. Nur ist es nicht so, daß mit 40 oder 45 Jahren, also der biologischen Hälfte des Lebens, auch sein Topf mit der Hälfte des Bestandes an Erfahrungen und Eindrücken gefüllt ist. Das ist er bereits mit 20 Jahren. Der Zuwachs an neuen Erkenntnissen und Erfahrungen ist vom 5. Bis zum 10. Lebensjahr der gleiche, wie vom 10. bis zum 20. Lebensjahr oder vom 20. bis zum 40. Lebensjahr oder vom 40. bis zum 80. Lebensjahr. Das heißt, mit der Verdoppelung des Lebensalters halbiert sich auch der Zeitinhalt.

Für einen 5-jährigen ist ein Jahr ein immenser Zeitraum. An einem einzigen Tag erlebt er mehr als sein 40-jähriger Vater in einer Woche, oder sein 70-jähriger Großvater in zwei Wochen. Für den 5-jährigen ist die Zeit 8 x gefüllter und damit 8 x gedehnter wie die seines Vaters. Und die Zeit des 5-jährigen vergeht dadurch, natürlich rein subjektiv empfunden, 8 x langsamer als die des Vaters.

Darin liegt also dieses Phänomen begründet, daß wir den Eindruck haben, je älter wir werden, desto schneller vergeht die Zeit. Und daher ist diese Annahme, daß die Mitte eines durchschnittlichen Lebens so um die 40 liegt, ein tragischer Irrtum. Rein biologisch ist es natürlich so, aber vom Empfinden her liegt diese Lebensmitte bei etwa 20 Jahren. Dafür gibt es im übrigen auch einen wissenschaftlichen Ausdruck: man nennt dies das "subjektive Zeitparadox". So kommt es auch, daß wir bei Ereignissen, die vielleicht ein halbes Jahr zurückliegen, sagen: "Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen." Daran erkennt man, wie wenig neue Eindrücke wir noch erleben.

Wer viel tut, hat viel Zeit!

Wie kann man dem ein wenig entgegenwirken? Ich meine nur durch einen bewußten Umgang mit der Zeit. Das Stichwort heißt "Zeitmanagement". Wenn es gelingt, mehr Spannung, neue Erfahrungen und Eindrücke in sein Leben zu bekommen, dann empfindet man die Zeit erfüllter und damit nicht mehr als so schnell dahinrasend. Zeitmanagement ist in erster Linie Verhaltensmanagement. Daher ist es zunächst notwendig, sein Verhalten gegenüber Mitarbeitern und Kunden, gegenüber der Familie und sich selbst einmal auf den Prüfstand zu stellen und es in dem einen oder anderen Punkt zu verändern.

Von einem der führenden Management-Trainer, Josef Schmidt stammt der Satz: "Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn ich es verändere. Ich weiß aber sehr wohl, daß ich verändern muß, wenn etwas besser werden soll". Oder man könnte auch sagen: "Die Fortführung der Vergangenheit ist noch lange keine Zukunft". Und wer es schon einmal versucht hat, sich bestimmte Angewohnheiten abzugewöhnen, der hat sicherlich festgestellt, daß dies zu den schwierigsten Dingen im Leben überhaupt gehört.

Selbstmanagement ist Zeitmanagement

Ich verfolge natürlich mit Interesse, was so alles zum Thema Zeitmanagement veröffentlicht wird und habe schon des öfteren denEindruck, daß sich diese Beiträge hauptsächlich an einen isoliert, in einem Bürosilo sitzenden Schreibtischtäter wenden, der möglichst ungestört von äußeren Einflüssen und anderen Mitarbeitern Aktenberge abarbeiten soll. In der Wirtschaft geht es aber nicht um ungestörte Büroarbeit, sondern um aktive Zusammenarbeit von Menschen und um Wertschöpfung. Ich kann also nicht losgelöst von allem außerhalb des Dunstkreises meiner Person Zeitmanagement betreiben. Das funktioniert nicht.

Beim Thema Zeitmanagement sitzen Sie in einem Boot mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit Ihrem privaten Umfeld, und sogar mit Ihren Kunden. Was hilft es, wenn Sie perfekt organisiert sind, Ihr Umfeld aber chaotisch arbeitet. Dies schmälert automatisch die Qualität Ihres Zeit- und Selbstmanagements. Wir müssen deshalb trennen nach dem, was wir selbst - also für unser Selbstmanagement - tun müssen und wir müssen wissen, welche Voraussetzungen in unserem Umfeld vorhanden sein müssen, damit es insgesamt funktioniert.

Und es gibt hier im Grunde genommen nur zwei Alternativen: Entweder Sie und Ihr näheres Umfeld gestalten die Zeit oder die Zeit und andere verfahren mehr oder minder mit uns nach belieben. Beim Zeitmanagement ist es wie in der Mathematik: Plus mal Minus ergibt eben Minus. Ein Unternehmen wird sich nur gut managen, wenn sich jeder einzelne gut managt. Und damit sind wir bei der alles entscheidenden Frage, nämlich was Selbstmanagement ist. Selbstmanagement ist zielbezogene Steuerung.

Die zentrale Frage ist, welche Ziele habe ich persönlich und welche Ziele verfolgen wir in unserem Unternehmen? Habe ich bzw. haben wir Visionen, ja vielleicht sogar Träume? Kann ich ein Idealbild meines Unternehmens beschreiben? Die Beschäftigung mit diesen Fragen bringt Spannung, neue Erfahrungen und neue Erkenntnisse ins Leben und beugt damit auch der Routine vor. Ich sagte anfangs, daß wir nicht zuwenig Zeit, sondern zuwenig Zeitgefühl haben und dieses Zeitgefühl verstärkt sich, wenn wir uns in neue Richtungen bewegen oder zu neuen Ufern aufbrechen